Hanau/Rüsselsheim. „Es herrscht hoher Bedarf an tüchtigen und interessierten jungen Leuten, die den nötigen Forschergeist mitbringen“, motivierte Umicore-Vorstand Dr. Jörg Beuers die Teilnehmer, den Naturwissenschaften auch nach ihrer Schulkarriere treu zu bleiben. „Deutschland braucht herausragende Köpfe wie Sie“, so der Chef eines der weltweit führenden Materialtechnologieunternehmen am Ende einer außergewöhnlichen Veranstaltung.
Nach einer ebenso spannenden wie arbeitsintensiven Woche ging am Freitag das jüngste Erfinderlabor ins Finale. Zum 13. Mal hatte das Zentrum für Chemie (ZFC) mit Sitz im südhessischen Bensheim 16 leistungsstarke Schülerinnen und Schüler aus gymnasialen Oberstufen eingeladen, um wissenschaftliche Methoden und Anwendungsmöglichkeiten in der Praxis kennen zu lernen. Diesmal in Hanau und Rüsselsheim. In vier Gruppen forschten die Ausnahmeschüler aus ganz Hessen zum Themenkomplex „Umwelttechnologie Brennstoffzellen“. Vertreter aus Wirtschaft, Hochschule und Politik waren sich einig: Mit geballter Leidenschaft, Kreativität und Teamgeist haben die Jungforscher einen glänzenden Eindruck hinterlassen.
Weit abseits der schulischen Möglichkeiten bietet der Workshop hochbegabten jungen Leuten die Chance, sich in einem professionellen Umfeld mit namhaften Experten an zukunftsrelevanten Themen die Köpfe zu zerbrechen. Ein attraktives Angebot, das Jahr für Jahr stärker nachgefragt wird: „Die Zahl der Bewerber wächst stetig“, so ZFC-Vorstand Dr. Thomas Schneidermeier. Für die jüngsten drei Erfinderlabore bewarben sich 255 Schüler aus 80 hessischen Schulen. Mit seiner Idee, Ausnahmeschülern anspruchsvolle Themengebiete außerhalb des regulären Unterrichts anzubieten und so gezielt Talente zu fördern, hat das Zentrum für Chemie in Schulen und Unternehmen offene Türen eingerannt. „Ein sehr kreativer und engagierter Partner“, bekräftigte Heike Blaum vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) die gute Zusammenarbeit.
Auch die hessische Kultusministerin ist von diesem lebendigen und betont praxisorientierten Ansatz überzeugt. „Für die Schüler ein Glücksfall“, kommentierte Nicola Beer die Arbeit des Zentrums, das mit seinen Projekten bereits in der Grundschule ansetzt. In Hanau lobte sie das 2005 initiierte Erfinderlabor als besondere Gelegenheit, methodisches Know-how, Wissen und bleibende Eindrücke zu sammeln: „Alle Teilnehmer haben gelernt, unter professionellen Bedingungen in Teams zu forschen.“ Auch von den Abschlusspräsentationen der Schülerteams vor knapp 200 Gästen war Beer begeistert: „Châpeau! Respekt vor dieser Leistung.“
Besonders unterstrich die Staatsministerin die paritätische Besetzung der Arbeitsgruppen, in denen jeweils zwei Schülerinnen und Schüler eng zusammen arbeiten. Die Förderung von Frauen im akademischen und wissenschaftlichen Bereich liege ihr sehr am Herzen. Den Teilnehmern wünschte sie alles Gute für die Zukunft: „Haben Sie Mut und verlassen Sie den sicheren Heimathafen“, zitierte sie den amerikanischen Schriftsteller Marc Twain: „Fang den Wind in deinen Segeln. Forsche. Träume. Entdecke.“
Dazu hatten die 16 Schüler reichlich Gelegenheit. Beim Hanauer Partnerunternehmen Umicore AG & Co. KG und ihrem JointVenture SolviCore boten sich den Teilnehmern wertvolle Einblicke in den Geschäftsbereich Materialtechnologie. Darüber hinaus informierten sie sich über die Aktivitäten im Segment Brennstoffzellentechnologie. Ab Dienstag forschten die Jugendlichen drei Tage lang im Studienbereich Physikalische Technik an der Hochschule RheinMain in Rüsselsheim. Begleitet von wissenschaftlichen Helfern und angeleitet von der renommierten Diplom-Physikerin Prof. Dr. Birgit Scheppat, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Wasserstoff- und Brennstoffzelleninitiative Hessen (H2BZ).
„Neue Technologien erfordern Geduld. Die Generation Erfinderlabor wird die größten Probleme lösen“, prophezeite Scheppat bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Elektromobilität, die am Freitag auf starkes Interesse gestoßen war. Auch das Publikum debattierte lebhaft mit. Die von FAZ-Wirtschaftsredakteur Jochen Remmert moderierte Runde erörterte den Status Quo alternativer, ressourcenschonender Antriebstechnologien und warf einen interessanten Blick auf die Mobilität der Zukunft.
Dr. Justus Brans, Referatsleiter für Erneuerbare Energien im Hessischen Umweltministerium, kam mit einem Brennstoffzellenfahrzeug der Landesregierung nach Hanau. Er argumentierte als überzeugter Brenn-stoffzellen-Fan: „Weil es funktioniert.“ Die Technologie sei bereits dahingehend ausgereift, um Kleinserien zu produzieren, und nähere sich immer stärker dem Markt an. Auch in punkto Energieeffizienz sieht Brans klare Vorteile gegenüber konventionellen Antriebsformen.
„Die Reichweite eines Brennstoffzellen-Fahrzeugs ist sehr viel höher als bei anderen Elektroautos“, sagt Dr. Christian Eickes, Manager in der Forschung und Entwicklung bei SolviCore. Er versichert ebenso wie Justus Brans: „In zehn Jahren fahre ich elektrisch.“
Ob die Experten richtig liegen? Die Schüler gingen der Technologie auf den Grund. Die Teams untersuchten Nieder- und Hochtemperatur-Brennstoffzellen, ermittelten die elektrischen Eigenschaften der verwendeten Membran-Elektroden-Einheiten und das thermische verhalten eines Hydridtanks. Fazit: Die Brennstoffzelle ist eine umweltfreundliche und effiziente Alternative und kann die Mobilität der Zukunft entscheidend revolutionieren. „Wenn das energiepolitische Gesamtkonzept stimmt“, so die Jungforscher nach fünf Tagen Erfinderlabor.
„Ein Zukunftsthema und 16 begeisterte junge Leute – das passt“, so Prof. Dr. Wolfgang Kleinekofort, Dekan des Fachbereichs Ingenieurwissenschaften an der Hochschule RheinMain. Er kommentierte das Erfinderlabor als Sensor für das Interesse der jungen Generation: „Es ist sehr erfreulich, dass Ihr Kompass in Richtung Naturwissenschaften zeigt.“
Der Anteil der Schüler mit Physik-Leistungskurs war in Hanau besonders groß. „Unsere Gruppe hat schnell zusammen gefunden. Das war Glück, aber eine Alternative hätte es ohnehin nicht gegeben“, berichtet Anne Steuernagel von der Freiherr-vom-Stein-Schule in Frankfurt von der Herausforderung, in kurzer Zeit mit drei Unbekannten ein homogenes Team zu bilden. Auch für Alex Kreuzer vom Bensheimer Goethe-Gymnasium war die Gruppenarbeit das Herz des Erfinderlabors: „Wir fanden eine gute Balance, auch für die Abschlusspräsentation.“
Der enge Dialog mit der Hochschule bleibt für Christian Schwarz aus Bad Vilbel in bester Erinnerung. Das selbständige Arbeiten mit einem Rasterelektronenmikroskop übertraf alle Erwartungen des Schülers. „Vier Gleichgesinnte mit Lust am Forschen in einem Team, das gibt es an der Schule nicht“, meinte Susanne Schneider aus Kassel. Und Lisa Wilke (Marburg) hatte einfach nur „viel Spaß auf hohem Niveau“.
Die Arbeit hat sich gelohnt. Bis spät in die Nacht haben die Teams an ihren Vorträgen geschliffen. Die Nervosität war spürbar. Noch kurz vor dem Finale wurden Texte geübt und dramaturgische Kniffe trainiert. Nach einem Präsentationstraining Mitte der Woche waren die Schüler nicht nur fachlich optimal vorbereitet. Erstmals waren das Projekt „Jugend präsentiert“ (Klaus Tschira Stiftung) sowie die Initiative „Wissenschaft im Dialog“ ins Erfinderlabor eingebunden. Durchgeführt wurde der Schnellkurs vom Seminar der Allgemeinen Rhetorik an der Universität Tübingen.
„Der Zeitrahmen ist straff, aber ausreichend“, kommentierte Sofia Bettina Brenner aus Kassel kurz vor ihrem großen Auftritt.
Das Urteil der Jury: Fachlich korrekte, kurzweilige und plastische Vorträge. Ausblick der Kultusministerin: Durchweg zuversichtlich. Bei solchem Nachwuchs muss dem Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Hessen nicht bange sein. Nicola Beer hofft, dass die Schüler den MINT-Fächern treu bleiben. Denn: „Deutschland braucht nicht nur Dichter und Denker, sondern auch Tüftler und Forscher.“